Buchtipp - Die faszinierende Reise eines Kulturguts

„Hätte ich die wahre Geschichte dieses Buches erzählt – es hätte mir niemand geglaubt“, so ist das Interview mit Geraldine Brooks am Ende des Romans „Die Hochzeitsgabe“ betitelt. Und es ist auch unglaublich: Was haben Sevilla, Tarragona, Venedig, Wien und Sarajevo gemeinsam? Sie sind die Stationen eines kleinen, sehr alten Büchleins, der sogenannten Haggadah von Sarajevo.
Eine Haggadah ist im religiösen Leben der Juden Erzählung und Handlungsanweisung für den Vorabend des Fests der Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei. Und die Haggadah von Sarajevo ist sehr alt, die genauen Jahreszeiten sind allerdings in verschieden Quellen leicht unterschiedlich. Aber was spielt das für eine Rolle? Die australische Autorin hat den Beginn ihrer Geschichte nach Sevilla ins Jahr 1430 gelegt.
Geraldine Brooks war bei der Restaurierung der Haggadah vor Ort und verfasste den Essay „Eine zweifache Rettung in Sarajevo während des zweiten Weltkriegs“ im New Yorker. Die Sarajevo-Haggadah ist heute im Nationalmuseum von Bosnien und Herzegowina ausgestellt. Obwohl die Autorin sich sehr für den wahren Teil der Geschichte interessierte, handeln die Charaktere im Roman rein fiktiv.
Die junge Australierin Hanna, bekommt die Chance, die berühmte Haggadah in Sarajevo zu restaurieren. Allerdings ist das Land 1996 vom Bürgerkrieg zerstört. Die Begegnung mit dem muslemischen Museumsleiter Ozren und vor allem der Geschichte der Haggadah, die sich durch ganz Europa zieht, verändert bald auch ihr eigenes Leben.
Die Autorin zäumt das Pferd von hinten auf. Die Kapitel über die Protagonistin Hanna wechseln sich mit Geschichten von den anderen Stationen der Haggadah ab. Diese sind in Gegenrichtung zur Chronologie angeordnet, parallel zu den Entdeckungen der Buchrestauratorin Hanna. Sie erhält zwar oft Hinweise, kann aber die Wahrheit nie vollständig lüften. Das lässt die Geschichte realistisch wirken. Alle Personen sind sehr menschlich beschrieben, keine kommt ohne Leid davon: Der Pfarrer in Venedig mit der ungewöhnlichen Kindheit ebenso wenig wie die Sklavin Zahra.
Leider erfordern die Ausflüge der Autorin in das Handwerk der Restauratorin einige Fachkenntnisse, der eigentlich interessierte Leser neigt ansonsten zum Überschlagen dieser Textpassagen.
Geraldine Brooks Roman vermittelt auf eindringliche Weise, dass die Haggadah als Kulturgut nur aufgrund der Zusammenarbeit und Hilfe von Menschen verschiedener Religionen erhalten bleiben konnte, besonders in den Epochen, in denen wenig Toleranz herrschte. Es ist ein Mut machendes Buch, weil es zeigt, dass Toleranz zwischen Religionen kein unerreichbares Ideal ist.
Der Roman „Die Hochzeitsgabe“ von Geraldine Brooks ist im Mai 2010 im btb-Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 10 Euro.
[Ella Pausch - Journalismus-Kurs Q1]