Europawoche - Stationen einer Flucht
Passend zum diesjährigen 60-jährigen Jubiläum der sogenannten Römischen Verträge, quasi dem Startschuss der heutigen Europäischen Union, wurde knapp drei Unterrichtsblöcke lang ein Thema aufgegriffen, das Europa sehr nachhaltig betrifft: Das Schicksal der Flüchtlinge aus Krisengebieten.
Hierbei wurden die Schwierigkeiten des Flüchtlingslebens an mehreren Stationen nachgestellt und reflektiert. Nachdem die Grundregeln geklärt waren, wurden Augenmasken ausgeteilt und man musste seine Familie durch die Farbcodierung auf den Masken finden. Als das geschafft war, bekamen die Familien, welche zwischen fünf und neun Mitglieder hatten, ein Formular, auf welchem sie ihre Namen eintragen mussten. Wir haben eine "Familie" begleitet, welche drei Kinder hatte, wovon eines noch ein Säugling war. Aufgrund eines Anschlags auf die Buchhandlung der Mutter, musste die Familie fliehen.
Von Hirte über Journalist und Arzt bis Student waren alle Berufsgruppen und Schichten dabei. Kaum war diese Aufgabe getan, kam der erste Bombenanschlag und Sirenen heulten los. In dem Chaos wurden die Familien auseinandergerissen und mussten sich nun wiederfinden, mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass diesmal alle ihre Augenmasken aufziehen mussten. Das endete in einem Gewirr aus gebrüllten Namen und vereinzelten Familienmitgliedern, welche wirklich planlos umherirrten.
Nachdem sich alle Familien, mit mehr oder weniger Hilfe, wiedergefunden hatten, kam die nächste Aufgabe. Eines der Familienmitglieder hatte sich eine Verletzung zugezogen, wie z.B. einen Knochenbruch, oder sogar eine Erblindung. Mit diesen Hindernissen mussten die Familien nun zu den Auffanglagern, welche durch Turnmatten symbolisiert wurden, kommen, was sich je nach Verletzung etwas schwieriger gestaltete. Dort wurden ihnen dann Formulare mit für sie unverständlichen Zeichen ausgeteilt, welche sie richtig ausfüllen mussten, um über die Grenze zu kommen. Es herrschte allgemeine Ratlosigkeit, bis einige erst einmal ihre Namen aufschrieben. Einige schrieben auch noch Wörter wie Help und SOS darauf in der Hoffnung, sich verständlich zu machen.
An der Grenze herrschte großer Andrang, Familien wurden getrennt, zurückgeschickt und durchgelassen. Sobald jemand durch durfte, musste derjenige erst einen Fingerabdruck da lassen. Einige waren so "verzweifelt", dass sie versuchten auf andere Weise einzuwandern. Nachdem dann auch diese Hürde von allen gemeistert wurde, kam es zu der nächsten Station, welche sich vergleichsweise angenehm gestaltete. Erst wurden die Familien untergebracht, wozu hier wieder Sportmatten dienten, und sollten eine Liste erstellen, welche Dinge sie unbedingt brauchen. Dann wurden Lebensmittel und Getränke ausgeteilt. Sowohl der Platz als auch das Essen und Trinken waren sehr knapp. Als sich alle etwas erholt hatten, kam es zu der vermutlich schwierigsten Etappe dieser Reise. Die Aufgabe: Stellt einen Antrag auf Aufnahme für die ganze Familie und ihr werdet vielleicht in einem reichen Industrieland aufgenommen. Dies gestaltete sich für alle sehr schwierig, da jede Familie nur wenig Vorbereitung und circa 30 Sekunden hatte, um sich beim Einwanderungsbeamten vorzustellen, zu sagen, was sie wollen und zu sagen, was sie bieten können und dann kam da auch noch die Kommunikation dazu. Familien ohne arbeitsfähige Mitglieder hatten eher schlechte Chancen durchzukommen. Familien mit Ärzten, Studenten oder anderen Arbeitern waren hingegen sehr willkommen. Jede Familie musste eine Person darauf vorbereiten, den Antrag zu stellen, sich mit Gesten verständlich zu machen und die eigenen Emotionen zu verdeutlichen.
Ein ganz besonderer Dank gilt den sehr engagierten SV-Vertretern Gwen Wons, Jill Neuber, Julia Nikolic und Ben Louis Koppetsch, die viele Rollen an den verschiedenen Stationen übernahmen und natürlich Herrn Brunk und Herrn Bürger, die das Planspiel organisiert haben.
Bei der anschließenden Bewertung des Rollenspiels ließen sich viele verschiedene Meinungen finden. Im Kern hatten allerdings alle denselben Kritikpunkt, nämlich dass die Simulation der schlimmen Wirklichkeit vermutlich manchmal immer noch nicht nah genug käme und das Rollenspiel dann auch manchmal die Wirklichkeit zu harmlos und locker darstellte. Insgesamt lag das aber wohl auch ein wenig daran, wie weit die Teilnehmer auch gedanklich bereit und in der Lage waren, sich auf ihre Rollen einzulassen.
Insgesamt bekam diese besondere Art des Sozialwissenschaften-Unterrichts aber ein positives Feedback. Viele Schülerinnen und Schüler waren erfreut über diese etwas andere Gestaltung der Stunde, welche sie einen Einblick in die täglichen Probleme eines Flüchtlings werfen ließ. Es sei schön, sich einmal nicht nur mit der Theorie zu beschäftigen, sondern in der Lage zu sein, das Schicksal der Flüchtlinge besser zu verstehen. Die Idee kam also gut an.
Daraus lässt sich ein wichtiges Fazit ziehen: Auch wenn man hier ein Szenario inszeniert hat, welches das Schicksal vieler Flüchtlinge zeigt, die wahren Beschwerden, die Angst und Furcht, die diese Menschen erleiden, können letztlich nur ansatzweise nachgestellt werden, denn jedes Schicksal ist individuell und grausam auf seine eigene Art, und der beste Weg, sich mit der Situation auseinanderzusetzen, ist sich weiter dafür zu interessieren und am besten natürlich auch zu engagieren. Wie das gehen kann? Wir sind „Schule ohne Rassismus / Schule mit Courage“. Es gibt immer wieder Projekte und Aktionen auch mit Geflüchteten zusammen, wo oft tatkräftige Unterstützung gebraucht wird. Nähere Informationen und die Info, an wen ihr euch diesbezüglich wenden könnt, könnt ihr bei Herrn Bürger, Herrn Brunk oder eurer SV erfragen.
Isabel Winkels und Celina Groneck, Stufe EF