Kein Alkohol ist auch keine Lösung? - Wie Musik uns beeinflusst

Kein Alkohol ist auch keine Lösung? - Wie Musik uns beeinflusst.

"Friedhelm Weinberg" / www.jugendfotos.de, CC-Lizenz(by-nc)

„50 Mann auf des Toten Manns Kiste, he ho und ne Buddel voll Rum“, habe ich mit Pippi Langstrumpf gesungen und war in meiner Fantasie mitten im Piratenabenteuer. Wilde verwegene Kerle, Lagerfeuer, Gefahr, Freiheit, all das schwang damals schon in diesen Zeilen mit. Das war, soweit ich mich erinnern kann, meine erste Begegnung mit Spirituosen. „Rum muss wohl was ganz besonderes sein“, habe ich damals gedacht. Spätestens als mein zweijähriger Bruder verkündete, er wolle, wenn er groß ist, unbedingt eisgekühlten Bommerlunder trinken, machte ich mir Gedanken über die Verbindung von positiven Emotionen und Trinkliedern. Ich habe bis heute keinen Rum getrunken und mein Bruder keinen Bommerlunder, die emotionalen Bedeutungen, die damals mitgeschwungen sind, sind aber geblieben. Manfred Söntgen, vom Pänz Verlag, der Liedersammlungen für die Kleinen - mit Trinkliedern, wie „Drink doch eine mit“ – herausgibt, beschreibt das so: „Wenn in den Liedern Alkoholkonsum vorkommt, dann ganz unverkrampft als Teil der Erwachsenenwelt – das haben wir früher als Kinder auch so unverkrampft gehört und verstanden.“

Er erklärt weiter: „Bei den Liedern in meinen Büchern handelt es sich um Brauchtum, das es meiner Meinung nach zu bewahren gilt“.

„Ein Brauch ist eine innerhalb einer Gemeinschaft entstandene, regelmäßig wiederkehrende, soziale Handlung von Menschen in festen, stark ritualisierten Formen. Bräuche dienen der Sinn-, Identitäts- und Integrationsstiftung. Sie vereinen und wirken gemeinschaftsbildend.“, erklärt Wikipedia. Von Alkoholkonsum ist dort keine Rede. Warum kenne ich dann aber kein Lied über gemütliches Kakaotrinken am Kamin oder Apfelsaft beim Picknick? Alkoholisierte Trinklieder gibt es dagegen viele. Das liegt wohl daran, dass der Konsum von Alkohol fester Bestandteil vieler gesellschaftlicher Anlässe - nicht aber Bräuche - ist.

Was also qualifiziert den bierseligen Kneipengesang „In München steht ein Hofbräuhaus, eins zwoa, gsuffa“ zu einem Brauch? Und ist es wirklich unschädlich, wenn dieses Lied in einem Büchlein „Meine ersten Wiesn-Lieder“ einer ganz jungen Zielgruppe nahegebracht wird? Söntgen antwortet mir dazu: „Es kam auch schon vor, dass Kinder das Alkoholthema in den Liedern angesprochen haben. Das ist doch eine tolle Gelegenheit für Eltern, mit ihnen darüber zu sprechen. (….) Kinder können das ganz gut einordnen und vielleicht sogar die Gefahren solch eines Suchtmittels besser einschätzen, wenn sie in späteren Jahren direkt damit konfrontiert werden.“ Ob er da die Macht der Emotionen nicht unterschätzt? Alkohol ist kein Kulturgut sondern ein Suchtmittel, das positive Emotionen weckt und Gefühlszustände, wie Gemütlichkeit, Freundschaft, Mitleid, Nächstenliebe, Sentimentalität, an das Trinken bindet.

Später in der Jugend werden die Einstellungen zur eigenen Gesundheit geprägt, in einer Zeit, in der wir durchschnittlich 2,4 Stunden täglich Musik hören. Und statt Pipi hören wir dann Cro: „Probleme lös ich locker mit nem billigen Wein, Gib mir noch n Schluck, noch n Schluck, noch n Schluck, Noch n Schluck, noch n Schluck, Jap, ich bin yabadaba da, Also gib, gib, gib, gib, gib mir n Becks!, Und ich kipp, kipp, kipp, kipp, kipp es auf ex!“. In 213 von 720 Topssongs der US-Charts 2009 bis 2011 wird Alkohol oder eine spezielle Marke erwähnt, meist mit einem positiven Akzent. Und das wirkt. Während einer Studie wurden Songtitel gezeigt, die Textteile mit alkoholischen Themen enthielten. Daraufhin wurden die Jugendlichen gefragt, ob sie die Alkoholmarken der Drinks identifizieren konnten. Bei denen, die die Marke des Alkohols nennen konnten, war die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch, dass sie (viel) Alkohol tranken.

Muss es jetzt heißen „Keine Musik, ist auch keine Lösung?“. Schließlich hören wir nicht alle Songtexte bewusst und analysierend. Dieses positive mit dem Alkohol verbundene Lebensgefühl schleicht sich in unser Unterbewusstsein. Dort können wir es in einer Krisensituation abrufen. Die Gefahren dieses Suchtmittels besser einschätzen, wie Söntgen es vermutet, können wir wohl nicht.

Die Erkenntnis, dass Alkohol unser gesamtes Leben musikalisch untermalt, kann einen eigentlich nur traurig machen. Und: „Immer wenn ich traurig bin trink ich einen Korn“, das habe ich bei Heinz Erhardt gelernt.

[Ella Pausch: Journalismus-Kurs Q1]

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