"Mama was fighter"
Es ist ruhiger als gewöhnlich in der mit fast der gesamten Stufe Q1, Gästen von der Marienschule und Lehrern gefüllten Aula. Auf der Bühne, eine Dame aus Amerika. In der ersten Reihe, ihre zwei Schwestern aus Israel. Niemand würde vermuten, was es ist, das die drei Geschwister so sehr zusammenschweißt. Sie sind alle Teil der „Second Generation“, womit die Kinder- und Enkelgeneration von Holocaustüberlebenden gemeint ist, die sich heute mit dem Schicksal ihrer Familie beschäftigen müssen.
Dr. Ettie Zilber erzählt eine bewegende Geschichte, über die Erlebnisse ihrer Eltern und deren Überlebenskampf. Zu Lebzeiten, so erzählt sie, hatte ihre Mutter noch persönlich Vorträge an High Schools gehalten, mit dem Ziel, dass so ein wichtiges Ereignis niemals vergessen würde. Nun nimmt die Tochter diese Stelle ein, da die Familienmitglieder entweder im Holocaust ermordet, in der unittelbaren Nachkriegszeit oder wie ihre „Mama“ an Altersschwäche verstorben seien. Sie erhoffe sich, durch die fortlaufende Übermittlung ihrer Geschichte auf die Wichtigkeit von Toleranz sowie auf den erneut zunehmenden Rechtsextremismus hinweisen zu können und diejenigen direkt anzusprechen, „die behaupten würden, der Massenmord hätte nie stattgefunden“.
Das Wiedersehen der Eltern ist eine „schmierige hollywoodreife Geschichte, die jedoch wahr ist.“
Der Vortrag wird mit der Frage eingeleitet, ob die Zuhörer sich vorstellen könnten, was für eine immense Anzahl an Opfern sechs Millionen wäre. Sie erzählt vom „Paper Clips Project“ von einer Schule aus Tennesse, USA, welches von deren Schülern gestartet wurde. Diese sammelten sechs Millionen Büroklammern und eröffneten ein schuleigenes Museum, damit Besucher sich die Menge der zu der damals verstorbenen Zeit Menschen besser vorstellen könnten.
Zilber fand dies besonders erstaunlich „da die Schüler etwas auf die Beine gestellt haben, obwohl es dort keine einzige jüdische Person gab“. Anschließend daran werden Bilder eingeblendet, welche zerknittert sind. Diese sähen so aus, weil alle Bilder der Juden damals vernichtet wurden und sich ihre Familie dazu entschloss, diese unter Matratzen zu verstecken. Bilder der Vergangenheit seien für sie selbst von hohem sentimentalem Wert, da sie auf diese Weise die Ereignisse, die Ihre Eltern erlebt haben, besser nachvollziehen könne und Menschen nicht vergessen würden.
Nun beginnt sie, die Geschichte ihrer Eltern zu erzählen. Am 21.06.1941 sei Ihre Mama im Alter von 16 Jahren von ihrem ersten Date mit dem zukünftigen Ehemann nach Hause gekommen, als sie die Deutschen zum ersten mal in Litauen gehört habe. Ihre Familie versuchte zu fliehen doch sie wurden verhaftet und zurück gebracht in das „7th Fort“, wo die Inhaftierten nach Geschlecht getrennt wurden. „Die Männer mussten draußen in einer Linie darauf warten, erschossen zu werden während die Frauen vom inneren des Gebäudes dabei zusehen mussten.“ Dort, wo früher das 7th Fort war, sind heute nun Massengräber um der Opfer zu gedenken.
„The fear was tremendous, and all were extremly anxious“, so beschreibt Zilber die Gefangenschaft im KZ. Ein Teil ihrer Familie wäre im KZ in Dachau und der andere Teil in Stutthof untergebracht worden. Ihre Verwandten mussten vor Ort äußerst schwere körperliche Arbeit leisten und gleichzeitig mit der permanenten Angst leben, jederzeit getötet zu werden.
Was sie besonders schlimm an dem Aufenthalt ihrer Eltern in allen Lagern fand, ist das die Juden dermaßen entpersonalisiert wurden. Den jüdischen Insassen wurden Nummern zugeteilt, mit welchen sie angesprochen wurden und sie mussten eine Brücke am Eingang des Ghettos in Kaunas bauen. Die Brücke diente dem Zweck, dass die Juden nicht den gleichen Boden berührten wie die deutschen Besatzer und ihn somit nicht „verschmutzen“ würden.
Zilber geht in ihrem rund 90-minütigem Vortrag sehr ins Detail und weist gegen Ende ebenfalls auf das Buch, das sie verfasst hat, hin, welches aus der Perspektive ihrer Mama ihr wechselvolles Schicksal erzählt. Sie erzählt z.B. vom Wiedersehen ihrer Eltern auf dem Bahnhof von Kaunas nach dem Ende des Krieges, das sich kein Hollywood-Regisseur besser ausdenken könnte – ihr Vater war nämlich nach Kaunas gekommen, um nach seiner Frau zu suchen. Als er am Bahnhof Feuer für eine Zigarette brauchte, sprach er eine Passantin an – es war seine Frau, Zilbers Mutter!
Alle Zuschauer waren am Ende tief bewegt. Besonders in der heutigen Zeit sind solche Vorträge besonders wichtig, um sich zu erinnern und zu verstehen, was heute wichtig ist.
Alina Freisleben, Journalismuskurs Q1