Zeitenwende im Gedenken
Am Platz der Synagoge - Das Morden im Rahmen der sogenannten "Euthanasie"
Wir vom Landrat-Lucas-Gymnasium haben uns mit dem Thema Euthanasie im Nationalsozialismus als weiteren Aspekt der Verfolgung und Ermordung auseinandergesetzt. Euthanasie bedeutet eigentlich „Gnadentod“. Der Begriff wurde von den Nationalsozialisten missbraucht. Recherchen und ein Besuch im EL-DE-Haus haben uns die Abgründe der sogenannten „Vernichtung unwerten Lebens“ gezeigt. Den Nationalsozialisten lag viel an der deutschen, der arischen Rasse, welche sie mit Maßnahmen wie dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses perfektionieren wollten. Am 14. Juli 1933 wurde dieses Gesetz erlassen. Es ermöglichte, Kranke und Menschen mit Behinderungen gegen ihren Willen zu sterilisieren. Dazu wurden Heil- und Pflegeanstalten instrumentalisiert, die in der Regel keinen Widerstand leisteten. Ein weiterer Baustein für die „Perfektionierung“ der deutschen Rasse war die Kindereuthanasie. Hebammen und Ärzte wurden aufgefordert, Neugeborene mit Behinderungen zu melden, was in den meisten Fällen auch getan wurde, jedoch noch lange nicht in allen. Dies führte zu 5.000 „Gnadentoden“ von Neugeborenen, meist durch Schlafmittel. Die Ermordung durch Schlafmittel, wie z.B. „Luminal“, war nicht so friedlich wie es sich im ersten Moment anhören mag, da es drei bis acht Tage dauerte, bis die Kinder verstarben. Andere Kinder ließ man über Monate verhungern. Ab 1939 begann die Erwachsenen-Euthanasie, welche der Beseitigung von vermeintlich „lebensunwerten Leben“ diente. Darunter fasste man Menschen mit angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, Idiotie, Missbildungen, Lähmungen, Irre sein, Epilepsie, Blindheit, Taubheit und später auch schwerem Alkoholismus zusammen. Der „Gnadentod“ von Erwachsenen geschah unter dem Namen „Aktion T4“, benannt nach der Tiergartenstr. 4, Berlin, wo die Aktion 1939 beschlossen wurde. Die insgesamt etwa 300.000 Opfer fanden ihren Tod in Vernichtungsanstalten durch Kohlenstoffmonoxidduschen und in mobilen Gaswagen. Ein Beispiel hierfür ist Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Grafeneck war ein Heim für Behinderte, das ab 1940 zur systematischen Tötung geistig und körperlich beeinträchtigter Menschen genutzt wurde. Hier starben zwischen Januar und Dezember 1940 etwa 11.000 Menschen. Auch in unserer Nähe gab es eine ähnliche Einrichtung, Galkhausen in Langenfeld. Galkhausen war als sogenannte Zwischenstation an den Tötungen beteiligt. Von dort wurden ca. 1.500 Menschen in Tötungsanstalten verlegt. Den Hinterbliebenen erzählte man, dass ihre Kinder und Angehörigen an Krankheiten wie z.B. Lungenentzündung gestorben seien. Die Urnen, die den Familien zugeschickt wurden, enthielten oftmals nicht einmal die wirklichen Überreste der Verstorbenen, manchmal nur Staub. Die „Aktion T4“ wurde 1941 offiziell abgebrochen, weil sich Unmut in der Bevölkerung breit machte. Grund dafür war unter anderem eine Predigt des Münsteraner Bischofs Graf von Galen. Der Bischof klagte öffentliche an: „Allgemein herrscht der an Sicherheit grenzende Verdacht, dass diese zahlreichen unerwarteten Todesfälle von Geisteskranken nicht von selbst eintreten, sondern absichtlich herbeigeführt werden, dass man dabei jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe so genannt[es] lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will. […] Warum? Weil sie nach dem Urteil irgendeines Amtes, nach dem Gutachten irgendeiner Kommission lebensunwert geworden sind.“ Doch auch ohne „Aktion T4“ wurde nach 1941 im Sinne der Rassenhygiene weitergetötet. Eines der Opfer war Anna Lehnkering. Annas Leidensweg begann in Bedburg Hau, wurde in Galkhausen fortgesetzt und endete in Grafeneck. Ihre Geschichte wurde von ihrer Nichte aufgearbeitet. Daraus entstand ein fiktiver Brief. |
Liebe Anna, am Montag, den 21. Dezember 1936, mit 21 Jahren, wirst du in die Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau aufgenommen, da warst du wegen deiner vermeintlichen Erbkrankheit bereits zwangssterilisiert. Es heißt bei der Aufnahme: „Ist ruhig, still. Gibt auf Fragen Antworten.“ Hättest du dich anders verhalten wenn du gewusst hättest, dass du nie wieder nach Hause kommen würdest? Denn an diesem 21.Dezember beginnt dein Sterben. Die Diagnose lautet: „angeborener Schwachsinn“, „erbkrank“. Bis zu deinem Tod sollen allerdings noch drei Jahre und zwei Monate vergehen. Zunächst musst du dich einem „Intelligenztest“ unterziehen, den du ganz gut meisterst. Aus weiteren Eintragungen deiner Krankenakte ist zu schließen, dass du eine zunehmend schwierige Patientin bist: „Patientin ist antriebslos und nicht zu Arbeit zu gebrauchen.“ Die Aktion T4 beginnt und du erfüllst die Selektionskriterien deiner Mörder perfekt, so dass du zur Vernichtung freigegeben wirst. So genannte Gutachter entscheiden über dein Leben und deinen Tod, ohne dich zu kennen. Am 6. März 1940 wirst du nach Grafeneck verlegt. Für die Mörder und ihre Komplizen bist du nun nicht mehr Anna – du bist nur noch eine Nummer, die Nummer, die auf deiner Krankenakte steht und die man später auch auf deine Urne einstanzen wird. Kurz darauf wirst du in einer Gaskammer ermordet. Für den nationalsozialistischen Staat warst du nur noch ein sogenannter „Defektmensch“, eine „Ballastexistenz“. Die Kosten-Nutzen-Rechnung stimmte nicht. Anna ist eines von ca. 300.000 Euthanasieop-fern. Erst 76 Jahre nach Annas Einweisung wurde ihr Name in das Gedenkbuch von Grafeneck aufgenommen. Es gibt kein Verständnis von Gegenwart und Zukunft ohne Erinnerung an die Vergangenheit! |
Gedenkabend - Erinnern ohne Zeitzeugen
Ein Abend mit Lorenz S. Beckhardt und der Band Crazy Freilach
Eisige Novembernacht Ein leises Heulen in einer Novembernacht lässt alle Glieder gefrieren Ein leises Weinen in einer kalten Novembernacht bringt alle Herzen zum Ertrinken Ein müdes Gedicht bringt die Tragik der Dinge nah Eine traurige Antwort versteckt Staub und Asche in einer kalten Novembernacht Ein tiefer Seufzer lässt alle Gedanken ruhen Ein dumpfes Pochen gibt den Takt eines Herzens vor Ein lauter Knall und feuerrote Flammen züngeln in eisiger Novembernacht Schüsse und Schreie duellieren sich In einer kalten Novembernacht In der Nacht, als alle Herzen erfroren Leah Strunk |
Erinnerung ohne Zeitzeugen I Wie geht unsere Generation mit der Vergangenheit einer Generation um, die mehr und mehr ihre Zeitzeugen verliert? Die Frage nach der Verantwortungsübernahme aus einer „vergangenen“ Zeitepoche. Leben wir in der Gegenwart der Vergangenheit, oder in der Vergangenheit der Gegenwart? Kein anderes Volk des 21.Jahrhunderts hat so schwer mit der Vergangenheit seines Landes zu kämpfen wie das Deutsche Volk. Ein Volk, welches aufgrund seiner traumatischen Geschichte nicht den Anschluss in eine schuldfreie Zukunft verlieren darf. Wie gehen wir mit dem Leid, dem Elend und der Schuld dieser Generation um? Eine Frage, die viele Menschen beschäftigt, gerade die Erwachsenen der heutigen Zeit. Für die meisten Jugendlichen ist das Thema die „NS-Zeit“ nur langweiliger Geschichtsunterricht: „ Mann ey, Zweiter Weltkrieg, die ollen Nazis, also das Thema haben wir in der 9 und 10.Klasse so lange behandelt, dass es mir jetzt zu den Ohren heraus hängt.“ „ Ja, sicher Hitler, Nazis und Holocaust, voll die schlimme Angelegenheit, aber mal ehrlich, was habe ich noch damit zu tun? Das liegt jetzt über 70 Jahre hinter uns. Langsam müssen wir mal weiter machen“. Sätze die ich schon oft von Jugendlichen aus meiner Generation gehört habe. Ja, es stimmt, dieses Kapitel liegt 71 Jahre hinter uns. Ja, ihr habt Recht, dass diese Themen im Fach Geschichte immer lang besprochen werden. Aber es geht jeden einzelnen von uns etwas an. Auch wenn es angeblich in der Vergangenheit liegt. Je weiter dieser Krieg in die Vergangenheit rückt, desto präsenter und dringlicher wird die Frage : „Wie können wir unseren Nachfahren das Wissen, die Emotionen und die Aufklärung über ein Kapitel der deutschen Geschichte vermitteln, wenn es bald keine Zeitzeugen mehr gibt?“ Leicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Krieg gibt es seit Anbeginn der Zeit, und Krieg wurde von Mal zu Mal brutaler und grausamer. Kein weiterer Krieg und seine Folgen haben die Zukunft eines Landes und eines Volkes so geprägt wie der 2. Weltkrieg. Nach diesem Krieg müsste jedem einzelnen klar sein, dass dieses Ereignis sich nicht noch mal wiederholen darf. Man sollte alles menschenmögliche tun um solch ein Ereignis zu verhindern. Man sollte aus diesen Fehlern lernen. „Es sind weltweit mindestens 25 Millionen Menschen nach Ende des Zweiten Weltkrieges durch Kriege gestorben. Im 20. Jahrhundert starben circa 100–185 Millionen Menschen durch Kriege.“ Dieses Zitat stammt von Wikipedia. Und jetzt frage Ich mich: Kann man von Vergangenheit reden, wenn man über den Zweiten Weltkrieg spricht? Meiner Meinung nach kann man es nicht. Vergangenheit ist es erst dann, wenn man aus den Fehlern gelernt hat. Also wird dieses Thema die Menschheit so lange begleiten, bis dieses sinnlose Abschlachten ein Ende hat. Um so wichtiger ist ein gezielter und aufgeklärter Umgang mit diesem Thema. Vor allem, wenn der wichtigste Übermittler - die Zeitzeugen einer jenen Zeit wegfallen. Zeitzeugen spiegeln das Geschehen in gewisser Weise, Zeitzeugen sind das Geschehen in gewisser Weise. Jede Epoche hat seine Zeugen. Jeden Epochen hat seine Verleugnenden. Die Generationen müssen weiter hin aufgeklärt werden, müssen sich weiterhin mit dem Thema auseinander setzten. Es gibt noch zu wenig Aufgeklärte und zu viele Mitläufer und Verursacher. Krieg und seine Folgen basieren aufgrund von Nichtaufklärung. Abende wie diese sind wichtig um zu mahnen, zu erinnern und aufzuklären. Es ist wichtig, dass Gedenkveranstaltungen nicht irgendwann ein Ende finden. In Schulen, in der Öffentlichkeit, in der Presse. Medien, mit denen jeder aus unsere Generation in Kontakt tritt ,übernehmen die Frage nach der Verantwortung einer verlorenen Generation. Wir sind nicht für die Verbrechen und Gräueltaten unsere Vorfahren verantwortlich. Wir sind für die Vorbeugung und Bekämpfung dieser vergangene Taten verantwortlich, dass sich so etwas, in diesem Ausmaß, nicht noch ein Mal wiederholen darf! Leah Strunk |
Erinnerung ohne Zeitzeugen II Deutschland ist ein Land, das die Geschichte des zweiten Weltkrieges und die damit einher gehenden schrecklichen Ereignisse gut aufgearbeitet hat. Doch reicht das? Besonders heute, an einem Tag, der für die jüdischen Bürger Deutschlands im Jahr 1938 direkt in ein Leben voller Diskriminierung und offener Verfolgung mündete, sollten wir uns diese Frage einmal mehr stellen. Brennende Synagogen, das grundlose Zerstören jüdischer Geschäfte - für uns ist das unvorstellbar. Es gibt Menschen, die dieses Grauen miterlebt haben und nie richtig verarbeiten konnten. Diese Menschen darf man nicht vergessen, denn sie zeigen uns auch, dass jene, die es schaffen, uns davon zu berichten, keine Selbstverständlichkeit sind. „Vergessen ist menschlich, aber politisch sehr gefährlich.“ Diese Aussage stammt von einer Frau, die eine dieser Personen ist, die für uns ein Stück vergangene Zeit sind. Sie ist eine der Zeitzeu-gen, die wir für so wichtig erachten. Doch warum sind diese Menschen für uns so wichtig? Ist es grade dieser emotionale Bezug, den uns ihre Geschichten vermitteln? Oder reichen uns sogar schon die Geschichten, die uns zeigen, dass hinter jedem historischen Ereignis Menschen stehen, die ihre eigenen und ganz unterschiedlichen Erlebnisse in sich tragen? Hinter jedem Zeitzeugen steht ein Mensch, der in gewisser Weise auch eine Generation vertritt und trotzdem als Individuum be-trachtet werden muss. Doch was ist, wenn diese Menschen weg sind? Reicht es, wenn diese Menschen uns beispielsweise Bücher hinterlassen, in denen sie ein Stück ihres persönlichen Weges verewigt haben. Wir den-ken, dass keine Quelle, egal ob Buch, Film oder Dokumentation, das was ein Mensch im persönlichen Gespräch vermittelt, ausglei-chen kann. Emotionen, die gewisse persönliche Note - das kann uns auch nicht der Unterricht in der Schule geben. Umso trauriger ist es, dass Zeitzeugen langsam aber sicher verschwinden. Was bleibt ist eine langsam schwindende Erinnerung und offene Fragen. Zeitzeugen unterliegen keiner Verpflichtung. Die Erinnerungen aufrecht zu erhalten, ist die Aufgabe folgender Generationen - unserer Generation. Wir sind die Zukunft, die nicht vergessen darf. Lea Bartsch, Leonie Dick, Celine Norhausen, Chiara Sauer, Carina Stein |
Das Interview mit dem Buchautor Lorenz S. Beckhardt führten Benedikt Ausborn und Saskia Babar. |